
Filigrane Meisterwerke für extreme Temperaturen
Wenn es um komplexe technische Einzelstücke oder Prototypen geht, sind die Expertinnen und Experten des Technik-Hauses am Campus Nord gefragt. Ein Beispiel sind hochempfindliche Temperatur-Messlanzen für das Karlsruher Flüssigmetalllabor KALLA, die in Kürze ihre Arbeit aufnehmen.
Die längste der Lanzen misst zwei Meter siebzig bei einem Durchmesser von wenigen Zentimetern. Die vier weiteren Temperatur-Sonden sind jeweils etwas über einen Meter lang. Das Besondere: in diesen Lanzen sind hauchdünne Drähte von nur 0,5 Millimeter Durchmesser verbaut, deren punktförmige Enden als hochpräzise Temperaturfühler dienen. In der längsten Lanze sind 97 solcher Drähte fein säuberlich aufgereiht. Ihre temperaturempfindlichen Enden lugen durch exakt angeordnete, winzige Bohrungen an die Oberfläche des Messinstruments. Dort können sie Temperaturen von bis zu 700 Grad Celsius in geschmolzenem Metall aushalten – und korrekt messen.
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Die hochempfindlichen Temperatur-Messlanzen können Temperaturen von bis zu 700 Grad Celsius aushalten und präzise messen.
Nicht von der Stange
Weder die hauchfeinen Temperaturfühler, noch die Lanzen gibt es von der Stange zu kaufen. Hier kommt das Team des Technik-Hauses zum Einsatz – die Spezialistinnen und Spezialisten am KIT für wissenschaftlichen Gerätebau und Fertigung. Von der Idee bis zur Umsetzung haben die Forschenden des Instituts für Thermische Energietechnik und Sicherheit (ITES) gemeinsam mit Ingenieur Daniel Kuntz vom Technik-Haus das Projekt „Temperatur-Messlanzen“ entwickelt. „Ich bin im engen Austausch mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die ihre Hochtemperatur-Wärmespeicher in der Praxis testen möchten“ sagt er und fügt an: „Bei mir im Team setzen wir die technischen Zeichnungen um, ich sorge für das passende Material und habe ein offenes Ohr für die Optimierungswünsche der Forschenden.“ Schmieden, Löten und Schweißen wiederum ist die Kernkompetenz von Feinmechaniker Paul Wagner-Nagy. Dass er jedoch auch einmal am Mikroskop arbeiten und haarfeine Drähte verlöten, per Laser verschweißen und anschließend wohlgeordnet auffädeln wird, hätte er bei seiner Ausbildung vor vielen Jahren nicht gedacht. „Es macht Spaß, auch solche feinen Werkstücke zu fertigen“, sagt Wagner-Nagy. „Man braucht eine ruhige Hand und zudem Erfindergeist. Um die Drähte am Ende zu biegen, ohne dass sie brechen, haben wir eine spezielle Zange entwickelt.“ Zusätzlich entwarf das Team einen Abstandshalter mit 97 Bohrungen, damit sich die Drähte beim Einfädeln in das Lanzenrohr nicht verheddern.
Prototyp für den industriellen Einsatz
Auftraggeber für die Präzisionswerkstücke ist Frank Fellmoser, Ingenieur beim ITES und Projektleiter im Karlsruher Flüssigmetalllabor. „Ein Vorteil ist die räumliche Nähe zwischen dem Technik-Haus und unserem Labor“, erläutert Fellmoser. „So konnten wir gemeinsam mit Blick auf die Werkstücke überlegen, wie wir sie optimieren können, bevor sie dauerhaft an ihrem Einsatzort verbaut sind.“
Denn einmal in der Versuchshalle des Karlsruher Flüssigmetalllabors angekommen und verschraubt, werden die überlangen „Fieberthermometer“ nicht mehr auszutauschen oder gar zu reparieren sein. Ihre Bestimmung ist ein großer Stahl-Zylinder, ebenfalls aus den Werkstätten des Technik-Hauses, von gut zwei Metern Länge und nahezu einem Meter Durchmesser. Dieser wird mit Keramikkügelchen gefüllt, die als Wärmespeicher fungieren. Als Medium für den Wärmetransport dient flüssiges Metall.
Blei-Bismut zum Beispiel hat eine hohe Wärmeleitfähigkeit und eine bis zu 100-fach bessere Wärmeübertragung im Vergleich zu konventionellen Flüssigkeiten, wie Ölen oder Flüssigsalzen sowie Gasen. Somit wären Wärmespeicher auf der Basis von flüssigen Metallen im industriellen Umfeld interessant, da sie anfallende thermische Energie aus Abwärme oder Prozesswärme vergleichsweise einfach und kostengünstig direkt in Form von Wärme speichern und wieder abgeben können.
Pilotanlage kurz vor dem Start
Die ersten Versuche sollen bei bis zu 450 Grad Celsius Aufschluss über die Temperaturverteilung im Behälter geben. Fellmoser erklärt: „Durch Simulationsrechnungen haben wir eine Prognose, wie sich die Temperatur im Behälter am Anfang aufbaut, wie sie sich über die Zeit hält und wie sich das Abkühlungsverhalten gestaltet. Nun wollen wir im Experiment herausfinden, ob die Simulationsrechnungen korrekt sind oder gegebenenfalls durch experimentelle Daten noch verbessert werden können.“ Und genau das leisten die Temperatur-Lanzen. Die längste der fünf Sonden durchläuft den Behälter mittig in der Senkrechten, die anderen vier durchqueren waagerecht und diagonal zueinander auf unterschiedlichen Ebenen das Innere des Behälters. Die zahlreichen Temperatur-Messpunkte der Lanzen dokumentieren dann die Wärmedynamik während der Versuche: Wie vermischen sich warme und kalte Bereiche? Behalten die Keramikkügelchen ihre Wärmespeicherfähigkeit auch über einen längeren Zeitraum hinweg?
„Wir sind sehr gespannt“, sagt Fellmoser. „Der Behälter wurde inzwischen vorsichtig, ohne die Temperatur-Lanzen zu beschädigen, mit 1,5 Tonnen Keramikkügelchen beladen. Im Frühjahr folgt das erstmalige Durchströmen der Anlage mit flüssigem Blei-Bismut.“ Die Versuche an der Pilotanlage sind auch ein Test, ob der Einsatz von Wärmespeichern auf der Basis flüssiger Metalle in industriellen Prozessen gelingen kann.